Es gibt Künstlerinnen, die das Publikum unterhalten, und es gibt solche, die eine Ära verändern, die die Gesellschaft herausfordern und deren Geist unsterblich scheint. Nina Hagen, geboren am 11. März 1955 in Ost-Berlin, gehört zweifellos zur zweiten Kategorie. Sie war nie nur eine Sängerin; sie war und ist ein Phänomen, eine Naturgewalt, deren Stimme mühelos zwischen Oper, Punk und Gebet oszilliert. Sie wurde zum ultimativen Symbol für Widerstand, für Freiheit und für das furchtlose Anderssein. Doch hinter dem schrillen Make-up, den leuchtenden Haaren und der anarchischen Bühnenpräsenz verbirgt sich eine zutiefst verletzliche Frau, deren Leben ein kaleidoskopischer Tanz zwischen Exil, Provokation, Liebe, Schmerz und spiritueller Suche war.
Zum 70. Geburtstag hin bricht die „Godmother des deutschen Punk“ nun ihr Schweigen und enthüllt die privaten Dramen, die sie jahrzehntelang unter der Fassade der Rebellion verbarg. Sie spricht offen über den dunklen Kern ihrer größten Krise, die Nahtoderfahrung, die ihr Leben radikal veränderte, und die Identität ihrer wahren Liebe – die sich, wie so oft bei Hagen, als spiritueller Frieden und nicht als irdische Romanze entpuppt. Sie fasst es in einem Satz zusammen, der ihre ganze Philosophie trägt: „Ich bin ein göttlicher Clown. Ich lache, um nicht zu weinen.“
Die Geburt eines Wirbelwinds: Zu wild für den Sozialismus

Schon früh entglitt Nina Hagen jeder Definition. Sie war zu wild für den Sozialismus der DDR, zu politisch für den westdeutschen Mainstream, zu gläubig für die radikale Rebellion und doch zu rebellisch für die etablierte Religion. In den 1970er Jahren sprengte sie die künstlerischen und ideologischen Fesseln, indem sie in der DDR die Bühne zum Altar machte. Nach der Ausbürgerung 1976 legte sie im Westen mit Songs wie „TV Glotzer“ und „African Reggae“ das Fundament für den deutschen Punkpop.
Ihre Kompromisslosigkeit in der Liebe spiegelte sich in ihrem Leben wider. Sie liebte leidenschaftlich und litt still. Doch unter dieser Fassade des Erfolgs und der Provokation trug Nina ein inneres Trauma, geboren aus Verlust und Schuld. Erst spät im Leben, als ihre Bühnenpräsenz sanfter wurde und sie sich der Spiritualität zuwandte, begann sie zu erzählen, was sie so lange verschwiegen hatte. „Ich habe die Wahrheit zu oft geschrienen“, sagte sie einmal, „aber nie die Wahrheit über mich selbst.“
Der große Kollaps: Verlust, Schuld und Spiegelbilder
Ihr größter Schmerz begann, als sie im Westen lebte. Sie hatte Ruhm, Freiheit und Liebe, doch sie verlor das Wichtigste: das Vertrauen in sich selbst. Der Bruch mit ihrem damaligen Mann, dem dänischen Musiker Lukas Alexander Breinholm, hinterließ eine Leere, die sie jahrelang mit Exzess und Musik zu füllen versuchte. „Wir haben uns geliebt, bis wir uns zerstörten“, gestand sie. Lukas war der sichere Hafen, Nina das Gewitter – ihre Liebe war intensiv, aber nicht von Dauer.
Als die Ehe zerbrach, fiel Hagen in eine tiefe seelische Krise, die von Alkohol, Drogen und der Überforderung durch den Ruhm genährt wurde. „Ich war verloren im Rausch“, beschreibt sie diese Zeit, „ich wollte Gott finden, aber ich fand nur Spiegel.“ Auch Lukas Breinholm, der Vater ihrer Tochter Cosma Shiva Hagen, sprach später über diese Phase, in der Nina oft weinte, nicht aus Sehnsucht nach ihm, sondern weil sie sich selbst verloren hatte.
Dieser Verlust der inneren Mitte wurde zum dunklen Wendepunkt. Sie stürzte in eine spirituelle Suchbewegung, sprach von Visionen und göttlicher Führung. Ihr Album „Nonsex Monk Rock“ wurde in dieser Zeit zur bizarren, genialen „Beichte“, in der sie ihre Schuld hinausschrie, von Versuchung und Erlösung sang. Für sie war es nicht Wahnsinn, sondern der Beginn einer neuen Wahrheit: Sie hatte alles verloren, und genau da, im tiefsten Schmerz, begann ihre spirituelle Reise. „Ich habe alles verloren“, resümiert sie heute, „und genau da hat Gott angefangen, mit mir zu reden.“
Die himmlische Unterbrechung: Die Nahtoderfahrung in L.A.
In einem Leben voller Chaos und Schlagzeilen gibt es einen Moment, der sich wie eine heilige Narbe eingebrannt hat: Ein Sommertag im Jahr 1983 in Los Angeles. Nina Hagen war mitten in einer Tournee, umgeben von Lärm und Lichtern, doch innerlich so einsam wie nie zuvor. Ihr Körper war müde, die Seele ausgelaugt.
Plötzlich, in ihrer Garderobe, kam es zum Zusammenbruch der Wirklichkeit. Sie fiel auf die Knie und sagte später, sie habe in diesem Moment den Tod gerochen. Ihr Herz schlug unregelmäßig, die Luft wurde knapp. Ein Gefühl von Schwindel, Dunkelheit, Auflösung – und dann Licht. „Ich sah mich selbst von oben“, erzählte sie viele Jahre später mit einer unüblichen Ruhe. „Ich schwebte über meinem Körper und ich sah alles – die Bühne, die Menschen, mein Leben.“
Dieses Erlebnis dauerte nur Minuten, doch für sie war es eine Ewigkeit. Sie fühlte keinen Schmerz, keine Angst, nur Frieden. „Da war dieses Licht, hell, warm, liebevoll“, und eine Stimme sagte: „Du bist noch nicht fertig.“
Als sie zu sich kam, war sie verändert. Sie begann, nach dem Gott zu suchen, der sie gerettet hatte – nicht der Gott der Kirchen, sondern die göttliche Energie, die sie im Licht sah. Sie stürzte sich in Theologie, Mystik und Esoterik, las die Bibel ebenso wie indische Schriften. „Ich wollte wissen, warum ich leben darf“, sagte sie. Diese Nahtoderfahrung wurde zu ihrer zweiten Geburt. „Ich bin an diesem Tag gestorben und wieder auferstanden. Ich habe gelernt, dass man nicht singen muss, um gehört zu werden – manchmal reicht es zu beten.“ Dieses Erlebnis blieb ihr innerer Kompass und prägte ihren weiteren Weg. Heute spricht sie über den Tod mit Sanftheit: „Ich habe keine Angst. Ich habe ihn schon gesehen, und er war schön.“

Von der Provokateurin zur Verkünderin: Das spirituelle Erbe
Ab den 1990er Jahren vollzog Nina Hagen die Wandlung von der Provokateurin zur Verkünderin. Sie sprach in Talkshows über Gott, Auferstehung und Liebe und wurde zunächst belächelt, bis man ihre Ernsthaftigkeit erkannte. Für sie wurde Kunst zu einem Gebet, und Gebet zur Kunst. Sie gründete das Nina Hagen Choir Project, sang Gospels mit Straßenmusikern, besuchte Klöster und Gefängnisse. „Glaube ist Kunst“, sagt sie, „und Kunst ist Gebet.“
Ihr Einfluss reicht weit über die Musik hinaus. Sie war die erste, die Punk auf Deutsch sang, das Sakrale mit dem Subversiven verband und Weiblichkeit als laut, roh und heilig zugleich präsentierte. Ihr Vermächtnis ist nicht nur musikalisch, sondern spirituell – es ist die befreiende Haltung der Angstfreiheit. Sie sprach, wo andere schwiegen, und glaubte, wo andere verzweifelten.
Die Rückkehr zur Stille: Ein Leben in Brandenburg
Mit 70 Jahren lebt Nina Hagen heute ein Leben, das im krassen Gegensatz zu ihrer wilden Vergangenheit steht. Sie lebt zurückgezogen zwischen Berlin und der Lüneburger Heide, umgeben von Natur, Tieren und Stille. Ihre Stimme trägt nun die rauen Töne des Lebens. Jahrzehntelange Tourneen, Schlafmangel und emotionale Extreme haben Spuren hinterlassen. Sie spricht offen über chronische Erschöpfung und Gelenkschmerzen. „Ich bin alt geworden“, sagt sie lachend, „aber das ist okay. Ich habe genug getan, um müde zu sein.“
Ihre Gesundheit pflegt sie mit Hingabe: vegetarische Ernährung, tägliche Meditation, Yoga und der Glaube an die Heilung durch Energie. Sie erlitt in den letzten Jahren gesundheitliche Rückschläge, darunter eine Herzrhythmusstörung im Jahr 2019, die sie zur Unterbrechung ihrer Tournee zwang. „Ich dachte, das war’s“, erzählte sie, „aber dann hörte ich meine eigene Stimme im Krankenhaus: ‚Ich will noch ein Lied singen.‘ Und da wusste ich, ich lebe.“
Heute geht sie langsamer, spricht bedächtiger, aber ihr Blick ist klar. Sie trägt lange, oft graue Haare in bunten Tüchern gebunden – eine friedliche Ikone. „Mein Körper ist alt, aber mein Geist tanzt noch“, erklärt sie.
Die Freiheit des Loslassens: Reichtum und wahre Liebe
Obwohl Nina Hagens geschätztes Vermögen bei rund 10 bis 12 Millionen Euro liegt, ist Reichtum für sie nie eine Frage des Geldes gewesen. Sie lebt bescheiden: ein altes Haus in Brandenburg, ein kleiner Bauernhof, den sie selbst bewirtschaftet. Sie fährt einen alten VW-Bus und trägt Secondhand-Kleidung. „Ich brauche kein Gold, wenn ich Sterne habe“, sagt sie. Ihr Geld investiert sie in Musik, Spiritualität, Hilfsprojekte für Kinder und eine Stiftung für obdachlose und misshandelte Frauen. Sie hat gelernt, dass man nichts mitnimmt als Liebe, und Liebe kann man nicht kaufen.
Ihre Liebe zu Lukas Alexander Breinholm hat sich in eine tiefe, ruhige Wärme verwandelt, getragen von Vergebung und gegenseitigem Respekt. „Wir waren füreinander Lehrer“, sagte sie. Sie sind heute Freunde.
Wenn man sie heute fragt, was Liebe für sie bedeutet, antwortet sie sanft: „Liebe ist jemandem in die Augen zu sehen und zu sagen: ‘Ich sehe dich mit allem, was du bist.’“ Mit 70 Jahren blickt Nina Hagen zurück, nicht mit Reue, sondern mit Dankbarkeit. Ihr Vermächtnis ist die gelebte Wahrheit, dass Freiheit immer einen Preis hat, dass man aber im Sturm tanzen, im Schmerz singen und im Chaos Frieden finden kann. Sie hat die Unsterblichkeit der Seele erkannt und lebt danach. Ihre Botschaft an die Welt: „Ich möchte, dass man sich erinnert, dass jeder Mensch ein Wunder ist.“ Und genau das ist Nina Hagen geblieben: ein lautes, ungezähmtes, zutiefst spirituelles Wunder.
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