Brüssels dunkle Seiten: Der Korruptionsskandal um Kaja Kallas – Wie der EAD-Sumpf die EU-Chefdiplomatin verschlingt

Brüssel, das Epizentrum europäischer Machtpolitik, steht unter Strom. Ein Korruptionsskandal rund um manipulierte Ausschreibungen im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) zieht immer weitere, toxische Kreise, die nun bis in die höchsten diplomatischen Ränge reichen. Während frühere Spitzenfiguren bereits festgenommen wurden und die Fassaden in mehreren EU-Institutionen krachend zerbröckeln, rückt eine Persönlichkeit stärker in den Fokus als je zuvor: Kaja Kallas, die amtierende EU-Außenbeauftragte, eine Politikerin, die sich selbst als kompromisslose Verfechterin von Rechtsstaatlichkeit und Transparenz inszeniert hat. Doch ihr glanzvolles Image droht nun, unter der schieren Wucht des Skandals zu zerbrechen. Ein altes Sprichwort scheint sich auf dramatische Weise zu bewahrheiten: Der Fisch stinkt immer vom Kopf.

Kallas, die aus Estland stammt und seit etwa einem Jahr den EAD führt, ist im Europaviertel bekannt für ihren unnachgiebigen, oft kompromisslosen Kurs. Sie verkörpert die “eiserne Lady” des Baltikums, deren oberste Priorität die entschlossene Konfrontation mit Russland ist. Diese Haltung hat ihr zwar die Unterstützung der “Falken” in Brüssel eingebracht, sie jedoch auch zur Zielscheibe scharfer Kritik gemacht. Ein prominenter Kritiker ist der renommierte Ökonom Jeffrey Sachs, der in einem viel beachteten Interview Kallas eine tiefe, fast manische „Russenphobie“ attestierte. Sachs kritisierte öffentlich, die gesamte EU-Außenpolitik werde zunehmend den baltischen Staaten überlassen – eine Entwicklung, die er als gefährliche Engführung und als Vulgärstrategie empfindet. Er stellte Kallas’ historische Urteilsfähigkeit sogar fundamental infrage, indem er auf ihre jüngsten Aussagen verwies, Russland habe den Zweiten Weltkrieg gar nicht gewonnen und gehöre nicht in die Reihe der Siegermächte. Solche Äußerungen, in einer Zeit globaler diplomatischer Spannungen, zeugen von einer ideologischen Verengung, die nun mit dem Korruptionsfall in ihrer eigenen Behörde kollidiert.

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Der EAD: Ein Sumpf der Intransparenz

Das Kernproblem des aktuellen Skandals liegt in der Behörde selbst. Der Europäische Auswärtige Dienst, den Kallas seit ihrer Amtsübernahme leitet, gilt als eine der am schwersten durchschaubaren und intransparentesten Behörden der Europäischen Union. Das ist in der EU, die ohnehin mit einem massiven Transparenzdefizit kämpft, bereits ein vernichtendes Urteil.

Im Zentrum der Ermittlungen steht ein millionenschwerer Auftrag, der an das College of Europe im belgischen Brügge vergeben wurde – eine Kaderschmiede für die Brüsseler EU-Elite. Es geht um ein neunmonatiges, hoch dotiertes Ausbildungsprogramm für EU-Nachwuchsdiplomaten in den Jahren 2021 und 2022. Obwohl dieser Auftrag offiziell öffentlich ausgeschrieben wurde, sprechen die Ermittler von „erheblichen Verdachtsmomenten“, die auf Absprachen im Hintergrund hindeuten. Die Staatsanwaltschaft und die EU-Antikorruptionsbehörde OLAF, die bereits im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen gegen Ursula von der Leyen bei der Beschaffung von Impfstoffen bekannt wurde, ermitteln intensiv.

Der Mechanismus der Manipulation

Um zu verstehen, warum dieser Fall so brisant ist, muss man das Prinzip der „manipulierten Ausschreibung“ beleuchten. Grundsätzlich ist eine Behörde verpflichtet, Aufträge ab einer bestimmten Summe europaweit auszuschreiben. Das Ziel ist es, den günstigsten und besten Anbieter zu finden. Bei einer Manipulation wird dieses Prinzip jedoch gezielt unterlaufen. Möchte eine Behörde oder ein Sachbearbeiter eine ganz bestimmte, womöglich befreundete oder finanziell verknüpfte Firma bevorteilen, greift sie zu illegalen Methoden: Entweder werden dieser Firma interne Informationen über die Kalkulationen der Konkurrenten zugespielt, oder andere, unbeteiligte Firmen werden gebeten, bewusst deutlich höhere, nicht wettbewerbsfähige Preise zu benennen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die „ausgeguckte“ Firma auf jeden Fall den Zuschlag erhält – selbst wenn sie nicht die beste Wahl ist.

Dieser Eingriff ist am Ende des Tages reine Korruption. Denn wie Experten betonen: Solche Bevorzugungen geschehen nicht „für lau“. Sie sind fast immer mit Gegenleistungen verbunden, die in Form von Schmiergeldern, Zuwendungen oder anderen unrechtmäßigen Vorteilen an die verantwortlichen Beamten und Institutionen fließen. Hierbei handelt es sich um ein korruptes Netzwerk, bestehend aus Beamten, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und korrupten Institutionen im Hintergrund, das die EU-Gelder für eigene Zwecke missbraucht.

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Der Kollateralschaden und Kallas’s Abwehrkampf

Das erste prominente Opfer dieses Skandals war Kallas’ Vorgängerin im Amt der EU-Außenbeauftragten, Federica Mogherini. Die Italienerin, die das College of Europe in Brügge als Rektorin leitete, erklärte nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Anklagen wegen mutmaßlichen Betrugs und Korruption im Zusammenhang mit dem Diplomaten-Ausbildungsprogramm ihren Rücktritt. Mogherinis Fall belegt die direkte Kausalkette der Korruption und rückt nun die Frage in den Mittelpunkt, ob und wie weit das Netzwerk über die Vorgängerin hinaus in die heutigen Strukturen des EAD reicht.

Kaja Kallas reagierte schnell – aber nicht überzeugend. In einem internen Schreiben, das von der Plattform Euractiv veröffentlicht wurde, sprach sie von „tief schockierenden Vorwürfen“, betonte jedoch zugleich, diese seien unter „vorherigen Mandaten“ entstanden. Sie versucht also, sich möglichst frühzeitig vom Korruptionsfall zu distanzieren und die Verantwortung auf ihre Vorgänger abzuwälzen. Zugleich versuchte sie zu beschwichtigen, dass die Anschuldigungen nicht davon ablenken dürften, dass der EAD „sehr gute Arbeit“ verrichten würde.

Doch dieses Manöver wird von den eigenen Mitarbeitern des EAD sehr kritisch gesehen. Sie bemängeln, dass Kallas’ Zusicherung, volle Transparenz zu gewährleisten, hinter verschlossenen Türen für Stirnrunzeln sorgt. Bislang wurden kaum Details über interne Kontrollstrukturen veröffentlicht – weder darüber, wie die mutmaßlichen Manipulationen überhaupt entstehen konnten, noch darüber, warum Warnsignale in den vergangenen Jahren offenbar total wirkungslos geblieben sind. Die Mitarbeiter erheben damit den Vorwurf, dass Kallas in ihrem ersten Jahr an der Spitze des EAD die strukturellen Schwachstellen, die für die Korruption verantwortlich sind, nicht nur nicht erkannt, sondern sie bewusst ignoriert oder zumindest nicht proaktiv behoben hat. Diese Untätigkeit ist ein schwerwiegender Vorwurf gegen eine Frau, deren politische Karriere auf der kompromisslosen Forderung nach Rechtsstaatlichkeit fußt.

Die Politische Feuerwalze und die Doppelmoral

Dieser Skandal liefert den Kritikern der Brüsseler Führung, insbesondere den rechtskonservativen Fraktionen im EU-Parlament, nun die Argumente frei Haus. Bei der Konferenz „The Battle for the Soul of Europe“ äußerten mehrere Redner deutliche Vorwürfe. Der französische Europaabgeordnete Thierry Mariani vom Rassemblement National kritisierte offen das „Netzwerk aus Beamten, NGOs und korrupten Institutionen“ im Hintergrund. Der polnische EU-Abgeordnete Ryszard Legutko wiederholte die harsche Kritik: „Der Fisch stinkt vom Kopf“, eine direkte Anspielung auf die Führungsebene der EU. Balázs Orbán, der politische Direktor des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, bemängelte zudem die „Doppelmoral innerhalb der EU-Blase“, die ständig andere Länder kritisiere, aber die Korruption in den eigenen Reihen nicht in den Griff bekomme.

Die Kritik ist nicht nur politisch, sondern strukturell: Oppositionsabgeordnete warnen, dass dieses Transparenzdefizit die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die EU-Institutionen fundamental gefährdet. Der Skandal trifft Brüssel in einer Zeit, in der das Vertrauen der Bürger, spätestens seit der C-Pandemie und den diversen Beschaffungsaffären, ohnehin angeschlagen ist. Kallas’ späte Reaktion – die Ankündigung einer „neuen Antikorruptionsstrategie“ – wirkt in diesem Kontext wie ein hilfloses Manöver, ein Versuch, die Öffentlichkeit zu beruhigen, in der Hoffnung, dass die Angelegenheit im Sande verläuft. Kritiker fragen zurecht, warum eine solche Strategie nicht schon viel früher in Gang gesetzt wurde und warum man nicht im Vorfeld vernünftige Kontrollen eingebaut hat, um missbräuchliche Korruption überhaupt unmöglich zu machen.

Munich Security Conference: Speech by the High Representative Kaja Kallas  receiving the Ewald von Kleist Award | EEAS

Machtkampf im Schatten des Betrugs

Eine bemerkenswerte Beobachtung im Zuge des Skandals ist die auffallende Funkstille aus der EU-Kommission. Von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kommt bisher keine sichtbare Unterstützung für ihre Chefdiplomatin. Das liegt nicht nur an der angespannten Beziehung zwischen den beiden Frauen, die Gerüchten zufolge in einem stillen Machtkampf um Kompetenzen im Bereich der Außenpolitik stehen. Es liegt auch an einer taktischen Kalkulation: Die EU-Kommission scheint sich zurückzulehnen und abzuwarten, wie Kaja Kallas mit dem Skandal „vor die Wand fährt“. Würde von der Leyen Kallas offen in Schutz nehmen, würde sie sich selbst dem Vorwurf der Vertuschung aussetzen und damit die eigenen Ambitionen gefährden.

Für Kallas selbst ist die Lage existenzbedrohend. Ihre Karriere ist untrennbar mit dem Versprechen von Integrität verbunden. Die Ermittlungen zeigen jedoch, dass strukturelle Schwachstellen im EAD über Jahre hinweg unentdeckt blieben und dass Kallas die ihr zur Verfügung stehenden 12 Monate nicht genutzt hat, um diese Mängel zu beheben oder Warnsignale zu erkennen. Sie, die sich als leuchtendes Beispiel der Rechtsstaatlichkeit positioniert hat, steht nun unter verstärkter Beobachtung und muss beweisen, dass sie mehr ist als nur eine Rhetorikerin.

Der Korruptionsskandal um Kaja Kallas ist nicht nur ein weiterer Fall von Amtsmissbrauch. Er ist ein Indikator für systemisches Versagen und ein tief sitzendes Transparenzdefizit im Herzen der europäischen Bürokratie. Er offenbart die beunruhigende Leichtigkeit, mit der ein korruptes Netzwerk aus Beamten und NGOs in der Lage war, millionenschwere EU-Aufträge zum eigenen Vorteil zu manipulieren. Kallas’ Reputation, die auf Unbestechlichkeit aufgebaut war, bröckelt unter der Last der Enthüllungen. Ihr Vermächtnis als kompromisslose Diplomatin könnte nun für immer durch das Makel der Korruption in ihrer eigenen Behörde überschattet werden. Die Glaubwürdigkeit des gesamten EAD ist schwer angeschlagen, und die Forderung nach tiefgreifenden Reformen ist lauter denn je. Der Sumpf von Brüssel hat einmal mehr bewiesen, dass er selbst die höchsten Ämter verschlingen kann.